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Jakob Lenz


(gesehen am 19.5.2008)




Bitte sich den grünsten frischen Klee am obersten Weiderand im Frühlingstau der Schweizer Berge herbei zu phantasieren.
Vierblättrig.
Hoch über diesen grünen Klee muss man ihn loben, den Komponisten Wolfgang Rihm, für diese grandiose Kammeroper, die er da geschaffen hat!
Und noch ein Stückerl drüber, für die großartige schauspielerische und gesanglerische Leistung von Georg Nigl als Jakob Lenz. Und noch ein weiteres Stückerl drüber loben, weil das Klangforum Wien unter Stefan Asbury so konsequent die Noten spielte.

Und jetzt wieder ein Stückerl runter mit dem Lob, weil Castorf mit Zuviel an Bühnenspielerei am Werk war, noch ein Stückerl runter auch durch die suboptimale Raumakustik in der MQ-Halle E, und einen ganzen Ruck nochmal runter mit dem Lob! Wegen der megamiesen Idee Castorfs, Rihms Opernfluss durch sinnlose Sprachtheatereinschübe aus Büchners
Originalwerk unerträglich lange aufzustauen.  -  Gleich zweimal!   Elendiglich!  Da muss ihm doch im Vorfeld mal wer sagen, dass das so nicht geht!


Und, plumps, liegt er drin im grünen Klee, der Jakob Lenz. Und sinniert darüber her und hin, dass er als Dichter ja eh nix zu sagen hat, was Herz und Hirn über das gelebte Leben hinaus bereichern könnte. Seinen Lebenssinn verloren: das Dichten, alle anderen Sinnmöglichkeiten geben auch nix her - Religion, Menschen werden in großen Containern entsorgt, Texte verbrannt. Wie weiland Faust entsinnt sich da der arme Jakob Lenz der Erlösungsidee "junges Mädchen". Doch auch ihm wird sie wegsterben im Lauf des viel Denkens, und zu wenig Handelns. Wenn er sie findet, seine Friederike, dann ist sie schon tot. Castorf hat ihm eine aufgeblasene Sexgummipuppe hingelegt. Und das finde ich gut - weil genau das ist die Frau für diese Typen, wie Faust oder wie Lenz: eine Fantasie zur eigenen (kurzfristigen) Befriedigung. Und der Tod des Mädchens, der Entzug der Droge, des Pornos natürlich eine Katastrophe für diese Typen. Kurz mal.

Jakob Lenz findet seinen Lebenssinn nicht mehr. Und wird wahnsinnig.
Was sonst?

Moderne Oper ist ja eigentlich keine Oper. Mehr Theater. Das Wort ist im Vordergrund, wie beim Sprechtheater. Und in vielen modernen Opern wird die Musik nur als Unterstützung des emotionalen Wortes genützt. Das ist der große Reiz der modernen Kompositionen: sie verstärken die Wirkung des Theaterspielens emotional enorm.

Rihm, scheint mir, geht noch ein Stück weiter. Seine Musik stützt primär gar nicht das gesprochene Wort. Nein, seine Musik spielt orchestral, parallel zum gesungenen Wort des Jakob Lenz, dessen Innenwelt ins Publikum. Die Musik ist damit dem Wort immer ein Stück voraus, und weiß schon mehr, als Jakob Lenz selbst von sich zu berichten vermag. Eindrücklich das Schlussbild, wenn die Musik Jakob Lenz komplett von seiner Umgebung isoliert hat und ihn in der Klangwelt des Wahnsinns gefangen nimmt. Lenz Worte dringen noch nach außen. Die Musik nicht mehr. Sie scheint bereits in unseren eigenen Köpfen angelangt zu sein...


Schade ist nur eines. Dass die moderne Oper sich noch immer viel zu oft nur mit narrativen, konservativen Texten auseinandersetzt. Die, durch das moderne Musikdenken mögliche imposante Einmischung ins Innere - die sollte doch auch mit Texten übers reine Erzählen hinaus verflochten werden!  Unserem Inneren, unserem Sehnen, unseren Trieben entspräche das jedenfalls noch mehr.


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